Maria Schmidt
mariagruettner@hotmail.com
Geschichte des Sternbildes
ORION
Der Große Wagen ist das bekannteste
der Sternbilder. Orion, wenn er in den klaren Winternächten, umgeben von
den sechs hellen Sternen des Wintersechsecks, hoch aufgerichtet von Osten
her in den Nachhimmel steigt, ist das schönste.
Da der Orion
am Himmelsäquator steht – die drei Gürtelsterne werden von diesem
durchschnitten – ist er auf der ganzen Erdkugel zu beobachten. In unserer
Hemisphäre sieht man ihn als aufrecht stehende Gestalt, welche eine Verbindung
nahelegt mit einem Gott oder zumindest mit einem herausragenden Menschen. Auf
der südlichen Halbkugel der Erde erscheint er nicht als aufrechtstehende,
sondern meist als eine liegende Figur.
Im alten Babylon hat man in dem Sternbild den
schönen Städtegründer Gilgamesch gesehen.. Dieser bedrohte mit seiner
ehernen Keule den rechts von ihm stehenden Himmelsstier, der sich angeschickt hatte, die neu
gegründete Stadt Uruk zu verwüsten. Noch heute wird Orion meist mit
einer in Richtung des Stieres erhobenen Keule dargestellt
Im alten Ägypten sah man in der funkelnden Gestalt den Fruchtbarkeits- und
Totengott Osiris.
Osiris war der Bruder und Geliebte
der Himmelsgöttin Isis. Er wurde von seinem neidischen Bruder Seth erschlagen und ins Totenreich verbannt,
wo er nur noch über die Verstorbenen herrschen konnte. Weinend floh Isis in die
Nilsümpfe und gebar dort ihr gemeinsames Kind, den Knaben Horus. Dieser, zum
Jüngling herangewachsen, rächte seinen Vater, indem er seinerseits Seth tötete und Osiris wieder zum
Leben erweckte. Osiris stieg wieder auf
in den Himmel, um der Erde Fruchtbarkeit zu spenden. Das Amt, über die Toten
Gericht zu halten, blieb ihm erhalten.
Die Doppelrolle des Osiris
fand sich im Umlauf des Sternbildes wieder, welches von den ägyptischen Priestern vornehmlich in den Morgen- und Abendstunden über dem
klaren Wüstenhorizont wahrgenommen wurde: In der trocknen Jahreszeit Februar
bis Mai sah man Osiris am Abend im Westen in den Zonen des Todes versinken. Im Juni stand Osiris in der
Morgendämmerung über dem Horizont. Das war die Zeit, in welcher der Nil über
seine Ufer trat und das Land mit dem fruchtbaren Nilschlamm bedeckte.
Die Griechen, die wie die Ägypter den Himmel meist in den Morgen- und Abendstunden beobachteten, machten sich die Vorstellung des Fruchtbarkeitsbringers zu eigen und nannten das Sternbild Orion, das bedeutet: der jugendlich schöne Bringer von Sommer und Erntezeit.
Bei Hesiod heißt es:
‚Wenn aber Orion und Sirius in die
Mitte des Himmels gekommen sind – der Morgenhimmel ist gemeint - und die rosenfingrige
Morgenröte den Arkturus erblickt, dann, o Perseus, pflücke die Trauben ab und
bringe sie heim.’
Da die Griechen sich ihre Götter unabhängig von den Gesetzen des Himmelsgewölbes dachten und jene daher nicht mit Gestirnen gleichsetzten, wurde Orion nicht zum Gott. Orion war wie Gilgamesch der am Nachthimmel unsterblich gewordene gewaltigste und schönste aller Menschen.
Homer läßt Odysseus von einem Brüderpaar berichten, welches Orion
an Schönheit nahezu gleichkam:
‚Otos, der Göttern glich, Ephialtes,
den weithin berühmten....
Nur der berühmte Orion war schöner;
sie waren die schönsten.’
Vielgestaltig sind die Sagen, die
sich um den Himmelshelden ranken, Sagen, in welche die Griechen Menschenlos und
Menschenhoffnung auf Unsterblichkeit hineingelegt hatten:
Orion stammt aus der Zeit, als Götter
und Menschen freundschaftlich miteinander umgingen und daher Sterbliche hin und
wieder von Göttern abstammten. Orions
Vater ist der Meeresgott Poseidon.
Orion ist Jäger. Begleitet vom Großen und vom Kleinen Hund, nimmt er den Kampf auf gegen die dem Menschen damals noch so bedrohlichen Tiere.
Das Sternbild Orion in einer Zeichnung
Odysseus trifft Orion in der Unterwelt, wo er dieser
Tätigkeit weiter nachgeht:
‚Und dann... erblickt ich den
ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt er
die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüstem
Gebirge getötet,
In den Händen die eherne, nie zerbrechende
Keule.’
Orion ist wie Gilgamesch Städtegründer. Da er von seinem Vater Poseidon die Gabe erhalten hat,
durchs Meer zu gehen, kann er von Insel
zu Insel wandern und kommt schließlich nach Sizilien, wo er ein Vorgebirge
aufrichtet und zwei Häfen gründet. Den Hafen Rhegion nennt Aischylos den
‚Hafen des schwerttragenden Orion’.
Wie alle Sterblichen erduldet Orion
Liebe und Tod, aus dessen Nacht er jedoch immer
wieder zu neuem Leben ersteht:
Bei seinen Wanderungen durchs
Meer kommt Orion zur Insel Chios. Dort
herrscht König Oinopion, d. h., Weintrinker. Orion verliebt sich in dessen
Tochter Merope und begehrt sie zur Frau. Oinopion macht ihm zur Auflage,
vorerst die Insel von wilden Tieren zu befreien. Als Orion nach erfüllter
Aufgabe seinen Lohn verlangt, verweigert ihm der Vater jedoch weiterhin das Mädchen, und der aufgebrachte Orion nimmt sich sein Recht mit Gewalt.
Oinopion rächt sich, indem er Orion
betrunken macht, ihm die Augen aussticht
und den Hilflosen an den Strand wirft. Orion gibt sich nicht auf. Er
tastet sich durchs Meer zur Insel Lemnos zum Götterschmied Hephaistos. Der
Schmied überläßt dem Geblendeten den Knaben Kedalion, den Orion auf die
Schultern nimmt, um sich von ihm durchs Meer zum Ort des Sonnenaufgangs führen
zu lassen. Dort wendet Orion seine blinden Augen den Strahlen der aufgehenden Sonne entgegen und
läßt sich so das Licht seiner Augen neu entzünden.
Nach einer anderen Erzählung ist
Merope eine der sieben Plejaden. Die Plejaden sind die Töchter des Atlas, der im Norden das Himmelsgewölbe
trägt. Jahrelang verfolgt der Liebende die Mädchen, wobei nicht klar ist, ob er
nur Merope oder gar alle sieben miteinander meint. Die verängstigten Mädchen fliehen und stürzen
sich in ihrer Angst vor dem Gewaltigen immer wieder ins Meer. Schließlich ist Zeus es leid. Er versetzt
Verfolger und Verfolgte an den Himmel, wo Orion weiterhin den Geliebten nachjagt,
sie aber
nie erreichen kann.
In dieser Zeit gingen auch Göttinnen
nicht unberührt an dem Schönsten aller Sterblichen vorbei: Es ist vor allem Artemis,
die den Jäger mit Liebe und Haß verfolgt:
Artemis, die jungfräuliche Göttin der Jagd und der Tiere, ist ganz gegen
ihre Natur dem schönen Mann verfallen. Dennoch, oder gerade deswegen, erregt der große Jäger immer wieder den Ärger
der Göttin: Zum einen rühmt sich Orion im Bewußtsein seiner göttergleichen
Kraft, allein Herr aller Tiere sein, zum anderen hat er nicht weggeschaut, als
er auf seinen Jagdzügen einmal die Jungfräuliche
beim Baden überraschte. Der göttliche Unwillen steigert sich schließlich
zum tödlichen Haß, als eine andere
Göttin sich in den schönen Sterblichen verliebt: Es ist Eos, die Göttin der
Morgenröte, die den Herrlichen in den Morgenstunden mit ihren Rosenfingern
selig umfängt. Artemis sendet dem Treulosen
ihren sanften, aber todbringenden Pfeil.
Nach einer anderen Version ist es
Apollon, der Zwillingsbruder der Artemis, der die Liebe seiner jungfräulichen
Schwester zu einem Sterblichen nicht dulden will. Apollon überredet die
Schwester, auf ein fern im Meer schwimmendes Ziel zu schießen. Artemis schießt
und trifft. Das Ziel ist der badende Orion.
Ein Dichter ruft
klagend aus:
‚Wie schön du bist, Erdgeborener!
Von Rosenfingern
zärtlich gehalten
Trifft dich der
Artemis sanftes Geschoß.’
Homer läßt die
Zauberin Kalypso dem Hermes berichten:
‚Zäh seid ihr
Götter, und Eifersucht quält euch mehr
als die anderen;
Tut so verwundert,
wenn offen und frei eine Göttin zum Manne
Schlafen sich
legt, wenn eine sich einen zum liebenden Freund macht.
Da den Orion die
Eos mit rosigen Fingern sich wählte,
Standet ihr lange
verwundert, ihr leichthin lebenden Götter,
Bis in Ortygia
dann die Reine auf goldenem Throne,
Artemis zu ihm
trat, um mit sanftem Geschoß ihn zu töten.’
Eine andere Erzählung berichtet,
daß Artemis den heimtückischen Skorpion ausschickt, um den Kühnen zu
vernichten.
Himmel und Erde aber wollen den Tod
des Herrlichen nicht ertragen. Asklepios,
der Heilkundige, unternimmt es, den in
Todesnacht Versunkenen wieder zum Leben
zu erwecken. Damit aber hat jener in die
Rechte des Himmelsvaters eingegriffen, dem
allein es zusteht, Herr über Leben und Tod zu sein. Zeus erschlägt Asklepios
mit einem Blitzstrahl, um ihn anschließend
neben dem Skorpion als Schlangenträger an den Himmel zu versetzen. An die gegenüberliegende
Seite des Himmelsgewölbes, so daß keine todbringende Berührung mit dem
Untier mehr stattfinden kann, setzt Zeus
den Himmelsjäger Orion.
Das Schöne und Starke erregt Neid.
Wenn Neid nicht vernichten kann, weicht er aus in Häme. Das ist nicht erst
heute so.
Ovid erzählt folgende entweder
selbst erfundene oder irgendwo gehörte
Geschichte:
Zeus,
Poseidon und Hermes kehren, ohne sich zu erkennen zu geben, in der Hütte eines
alten Bauern mit Namen Hyrieus ein. Dieser aber ahnt, zutiefst erschrocken, die
Göttlichkeit seiner Gäste und bewirtet
sie mit seinem einzigen, eilig geschlachteten
Stier. Die Götter sind gerührt und wollen dem Alten einen Wunsch
erfüllen. Er hat einen Wunsch: Obwohl er schon lange Witwer ist, sehnt er sich
nach einem Sohn. Die Götter sinnen auf Abhilfe. Sie treten an die Haut des
geschlachteten Stieres – ‚Scham verbietet, das Weitere zu erzählen. Dann
deckten sie die feuchte Haut zu, indem sie Erde darauf warfen; und es dauerte
zehn Monate, da entstand daraus ein Kind, Hyrieus nannte es Urion, weil es so
gezeugt war. Der erste Buchstabe (U) hat seinen alten Klang im Lauf der Zeit
verloren.’
Das griechische Wort urein aber,
von dem Ovid den Namen Orion ableitet, hat zum griechischen Orion
– Sommerbringer keine Beziehung.
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Ebenfalls als menschliche Gestalt
sah man Orion im alten China. Es war Tsan, der Erhabene.
Im hohen Norden Europas ist Orion in den Wintermonaten nur knapp über dem meist
dunstigen Horizont zu sehen und konnte den Nordeuropäern nicht als siegreich
aufsteigender Held erscheinen. Man nahm meist nur die drei Gürtelsterne wahr
und deutete sie zum einen als Dinge des Alltags wie drei Fischer, drei
Mäher, eine Sense oder einen Pflug. Diese Sicht wurde noch
im christlichen Mittelalter beibehalten,
als man in den drei Gürtelsternen einen Jakobsstab sah, ein Gerät zum Winkelmessen. Zum anderen sahen die Alten in den drei
Sternen den Spinnrocken der
Himmelsgöttin Freia. Freia
befindet sich wie die anderen Götter des Nordens in Asgard am hoch im Himmel stehenden Himmelspol, wo
sie das Himmelsgewölbe mittels einer Spindel
in Bewegung hält. Mit dieser Spindel werden gleichzeitig die Schicksalsfäden für Menschen und Götter
gesponnen, welche die Nornen vom Himmelspol aus über Himmel und Erde breiten.
Die Wolle für die Fäden befindet sich tief unten am nebeligen Horizont auf Freias
Rocken.
Im Norden bergen die Orionsterne
nicht nur das Geheimnis von Kommen und Gehen der Jahreszeiten, von Leben und
Tod der Menschen, im Norden wissen die
Sterne um das Geheimnis vom Werden und Vergehen der Welt.
‚Kundig ist Frigg
Des Künftigen all,
Wenn sie’s auch selbst nicht sagt.’
heißt es in alten Schriften.
In
Weltgegenden rund um den Äquator und auf der Südhalbkugel, wo Orion sich meist liegend zeigt, wurde er mit
Gegenständen des Alltags und mit Tieren verbunden, bei den südamerikanischen Indianern mit einem Gestell zum Trocknen von Maniok, einer
Wurzelknolle zum Bereiten von Stärkemehl, in der Südsee mit einem
Kriegsboot oder einem Schmetterling, in Thailand mit einer Tierfalle, in Südindien mit einer Gazelle.
Seit der Wiederentdeckung des griechischen
Sternhimmels im Mittelalter zog auch der Himmelsjäger ins christliche Abendland
ein. Die Christen hätten eine Verbindung
zwischen Orion und ihrem sterbenden und wiederauferstandenen Gott ziehen können.
Die Kirche aber verbot jede Gleichsetzung ihres Gottes mit den Gestirnen.
Im 17. und im 18. Jahrhundert, als
man versuchte, den gesamten Sternenhimmel zu verchristlichen, wollte man für
Orion lediglich den Heiligen Joseph oder den Heiligen Petrus gelten
lassen.
Orion aber lächelte zu diesen Umwandlungsversuchen
und ist bis zum heutigen Tag auch für
das christliche Abendland der geblieben, der er seit drei Jahrtausenden gewesen
war, der Himmelsjäger.
Ebenso lächelte er, als im 19. Jahrhundert
die unterwürfigsten aller deutschen Professoren den Völkerbedrücker Napoleon
an Orions Stelle an den Himmel plazieren wollten. So viel Untertänigkeit war selbst den französischen Astronomen
zuviel! Napoleon wurde wieder vom Himmel verscheucht.
So sehen wir den Himmelsjäger Orion,
wenn seine funkelnde Gestalt in den
nächtlichen Winterhimmel steigt oder wenn er in der Sommerfrühe in den zarten
Armen der Morgenröte verglüht, auch heute noch mit den Augen der Griechen,
spüren die Herrlichkeit des schönsten aller Menschen, der Menschenlos ertrug
und dennoch Unsterblichkeit erlangte am nächtlichen Himmelsgewölbe.