Maria Schmidt Der Große Wagen Der Himmelspol Im alten Nordeuropa steht der Himmelspol, von wo aus das Himmelsgewölbe vom irdischen Betrachter aus gesehen in steter Drehbewegung gehalten wird, hoch am Himmel. Die immerwährende für das Leben auf Erden unerläßliche Bewegung glaubte man von Götterkraft aufrechterhalten, daher wurde der Himmelspol zu Asgard, dem Wohnsitz der Götter. Um das Firmament vor einem Einsturz zu bewahren, stellte man sich eine von der Mitte der scheibenförmig gedachten Erde bis zum Himmelspol reichende Säule vor, die Weltensäule, bei den Germanen Irminsul genannt. Mit Selbstverständlichkeit nahm man an, sich am Fuße der Weltensäule in midgard, der Mitte der Erdscheibe, zu befinden. Daneben wurde auch die Weltesche oder ein bis zum Himmel reichender Götterberg als Bild für die Himmelsstütze verwendet. Somit galt der hohe Himmelsnorden als die heilige Richtung. Der jeweils in unmittelbarer Nähe des Pols stehende Stern wurde zum Leitstern. Die Karte stammt aus Otto Sigfrid Reuter, Germanische Himmelskunde Die heilige Nordrichtung änderte sich mit Einzug des Christentums. Weil die Orte des christlichen Heilsgeschehens vom Abendland aus gesehen im Osten liegen, erklärte man nun den Osten als heilig und den Norden, den Ort der alten Götter, zum Ort der Teufel und Dämonen. In skandinavischen Kirchen, wo sich die alten Götter am längsten gehalten hatten, wurden zuweilen die nach Norden weisenden Kirchenfenster vorsichtshalber zugemauert. Die neue Heilsrichtung wurde auch sprachlich fixiert: Noch heute gebrauchen wir das kirchenlateinische Wort Orientierung. Es kommt von lat. oriri: aufgehen, emporsteigen und bedeutet Ostung, d. h., sich mit Blick nach Osten in der Welt zurecht zu finden. Wenn man Heimat als Ausrichtung des Denkens und Fühlens an der unmittelbaren Umgebung definiert, dann waren die Europäer durch die Übernahme des Christentums im eigenen Lande heimatlos geworden. Aber doch nicht ganz:Unsere zahlreichen teilweise so herrlichen Kirchtürme, die weder in den christlichen Lehren noch im christlichen Kult eine Begründung haben, weisen als Bilder der alten Weltensäule noch immer den Blick in die Himmelskuppel zu der Götterkraft, welche hoch vom Norden aus das Weltganze regiert. Ebenso richten die Maibäume, die Weihnachtsbäume sowie die Gipfelkreuze auf unseren Bergen die Gedanken nach oben in den sichtbaren Himmel. Durch die Entdeckung des magnetischen Nordpols und die Erfindung des Kompasses wurde auch die Aufmerksamkeit der abendländischen Seefahrer wieder nach Norden gelenkt. Die damals entstehenden Landkarten wurden nach Norden ausgerichtet. Wenn wir uns heute auf der Landkarte orientieren wollen, sprechen wir von einnorden. Die Geschichte des Großen Wagens
Der Große Wagen n den sieben Sternen nun, welche allnächtlich den Himmelspol umrunden, sahen die Nordeuropäer schon in vorgeschichtlicher Zeit den Karlswagen, den Wagen ihres auch Kerl oder Karl genannten Bauerngottes Thor. Stehend, den Blitze schleudernden Hammer in der erhobenen Rechten, die Zügel der dem Wagen vorgespannten Böcke in der Linken, sahen unsere Ahnen ihren Gott die Götterburg Asgard umrunden. Thor umrundet den Himmelspol im Karlswagen. Gemälde von Marten Eskil Winge aus dem 19. Jahrhundert. Der Karlswagen zeigt einen Wagen mit vier Rädern und einer Deichsel. Das bedeutet, daß es den vierrädrigen Deichselwagen, einem technischen Fortschritt gegenüber dem zweirädrigen Karren, schon in vorgeschichtlicher Zeit in Nordeuropa gegeben haben muß. Im Großen Moor am Dümmer in Niedersachsen ist ein ca. 5000 Jahre alter Deichselwagen gefunden worden. Eine Nachbildung dieses Deichselwagens steht im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg. In den Sternen, welche direkt an den Nordstern anschließen, sah man den Kleinen Wagen, dessen letzter Deichselstern heute mit dem Leit- , d. h., dem Nordstern identisch ist. Später wurde der Karlswagen auch als Wotanswagen dem Göttervater Wotan zugeordnet. Im alten England war der Göttervater zuweilen mit dem mythischen König Arthur identisch und der himmlische Wagen wurde folglich auch Arthurswagen genannt. Der nordeuropäische Götterwagen ist das einzige Sternbild, welches uns Heutigen aus alteuropäischer Zeit geblieben ist. Unser Großer Wagen heißt in Italien gran carro, in Spanien el Carro Mayor. Im Dänischen trägt der Wagen noch die alte Bezeichnung: Karlsvognen. ****** Für die alten Griechen waren die den Nordstern umkreisenden Sterne das Sinnbild des Nordens. Altgriechisch arktos, der Norden, ist gleichzeitig die Bezeichnung für das heilige Tier des Nordens, den Bären bzw. die Bärin. So wurden die den Nordstern umrundenden Sterne zum Sternbild der Großen Bärin. Die Wagensterne bilden den Rücken, die Deichselsterne den Schwanz der Bärin. Kopf und Tatzen werden durch weitere Sterne der Umgebung dargestellt. Im Kleinen Wagen sahen die Griechen dementsprechend die Kleine Bärin. Um die Große Bärin wurden die unterschiedlichsten Sagen erzählt. Eine von diesen lautet so: Zeus verliebt sich in die Nymphe Kallisto. Kallisto heißt: Die Schönste. Kallisto wird schwanger und bekommt einen Sohn Arkas. Beide werden von Hera, der Gemahlin des Zeus, eifersüchtig verfolgt, so daß Zeus seine Geliebte zu ihrem Schutz in eine Bärin verwandelt. Als Bärin irrt Kallisto nun durch die Wälder, bis sie eines Tages ihren zu einem Jäger herangewachsenen Sohn trifft. Arkas erkennt seine verwandelte Mutter nicht und schickt sich an, sie zu töten: Um das zu verhindern, versetzt der Göttervater beide als Sternbilder in die auch für die Griechen heilige nördliche Himmelsgegend. Kallisto wird zur 'Großen Bärin', Arkas zum benachbarten ‚arktophylax’, dem 'Bärenhüter', welcher der Bärin folgt und sie bewacht. Der hellste Stern des Bärenhüters ist ‚arkturos’, was ebenfalls ‚Bärenhüter’ bedeutet. Hera bewirkt aber in ihrer Eifersucht, daß die Große Bärin nie in den Genuß des kühlenden Bades im Ozean kommen solle, daß sie also nie unterhalb des Horizontes versinken kann. Eine andere Sage berichtet so: Der Gott Kronos hatte, um die Welt zu beherrschen, seine Eltern Ouranos und Gaia entmachtet. Um nicht einst ebenfalls von seinen Söhnen entmachtet zu werden, verschlang er sie alle gleich nach der Geburt. Schließlich aber wurde es der Mutter zu viel. Nach der Geburt des kleinen Zeus reichte sie dem Vater statt des Säuglings einen in Windeln gewickelten Stein zur Mahlzeit dar. Zeus wurde heimlich nach Kreta in die Idahöhle geschafft, um dort von zwei Bärinnen aufgezogen zu werden. Groß und stark wuchs der Göttersprößling heran und tat nun das, was Kronos gefürchtet hatte: Der junge Gott entmachtete den Vater und zwang ihn überdies, alle verschlungenen Geschwister wieder auszuspeien. Die beiden Bärinnen aber versetzte der neue Weltenherrscher als Dank an den Sternenhimmel. Da in Griechenland der Große Wagen bzw. die Große Bärin im Winter zumindest teilweise unter den Horizont sinkt, gibt die Sage nicht die tatsächlichen Verhältnisse des Landes wieder. Die Sage um die Große Bärin zeigt, daß die Griechen mitsamt ihrem Sagengut ursprünglich aus einer Weltgegend kamen, wo der Nordstern so hoch am Himmel steht, daß das Sternbild das ganze Jahr über am Himmel zu sehen ist. So ist es verständlich, daß im alten Griechenland auch das altnordische Bild des Götterwagens bekannt war: ‘.....die Bärin, die sie auch Wagen mit Namen nennen...’ heißt es bei Homer. Der Bärenhüter wurde dementsprechend auch Bootes genannt, der Ochsentreiber des Erntewagens. Dazu wurde folgende Sage erzählt: Die Göttin der Fruchtbarkeit Demeter, hatte sich mit einem Sterblichen eingelassen, welcher darob von Zeus getötet wurde. Der Sproß des Fehltritts, Philemon, aber blieb am Leben. Als Jüngling erfand er den Deichselwagen und den Pflug und wurde zum Lohn als Bootes, als Ochsentreiber des Erntewagens, an den Himmel versetzt. Diese Sage bekräftigt die oben erwähnte Annahme, daß der Deichselwagen im Norden erfunden worden ist und mit den vom Norden kommenden Griechen nach Süden mitgebracht wurde. Die wissenschaftliche Astronomie hat nicht den Großen Wagen in ihr Sternbilderverzeichnis übernommen, sondern die Große Bärin, lat: Ursa Major. Die Große Bärin, in welcher der Große Wagen enthalten ist. Andere Bilder für die sieben Sterne des Nordens
Die Sumerer sahen in diesen ebenfalls einen Götterwagen, was eine Verbindung zum Norden wahrscheinlich macht. Die Ägypter sahen in den sieben Sternen Stierhufen, Spuren von Stieren, welche an Leinen um einen Pfosten herumgeführt werden. Der Stier war das heilige Tier nicht nur der Ägypter, sondern des gesamten Altertums. Der Stierfuß bedeutete für die Ägypter ein Symbol des Gottes Seth, der als Ordnungsstifter im Kosmos gegen das Chaos kämpft. Der Pfosten ist der dem Himmelsgewölbe Festigkeit verleihende Himmelspol. Da sich dieser in Ägypten nur wenig über dem Horizont des Nachthimmels befindet, ist es kaum denkbar, daß die Vorstellung seiner Ordnung erhaltenden Funktion im Lande entstanden ist. Sie kann nur aus dem Norden Europas importiert worden sein, wo der Himmelsdrehpunkt, in Gedanken von der Erde aus durch die Weltensäule gestützt, hoch am Himmel steht. Der Stierhuf war gleichzeitig auch ein Symbol für ein Gefäß, mit welchem man die Lippen und die Augen der Toten berührte, um ihnen neue Lebenskraft für die Reise ins Jenseits zu verleihen. Die Römer sahen in den sieben nördlichen Sternen sieben um den Nordstern getriebene Dreschochsen. Auch hier war das Bild des um den ruhenden Himmelspol kreisenden Firmamentes lebendig, was im Sinne des vorher Gesagten ebenfalls auf eine Herkunft aus Nordeuropa schließen läßt. Trio ist lateinisch der Dreschochse, das Sternbild hieß septentrio, was zugleich Norden bedeutet. Das alte Chinaberuht auf einem Weltbild, welches mit dennordeuropäischen Vorstellungen nahezu identisch ist: Das altchinesische Kaiserreichbefindet sich nach seiner Vorstellung inder Mitte einer als viereckig gedachten Erdplatte - noch heute nennt sich China'Tschong Goa', d. h. Land der Mitte. Inmitten des Reiches in den Kunlun-Bergensteht die Weltensäule, welche den Himmel an seinem Drehpunkt stützt.Dadie Kunlun-Berge um den 35. Breitengrad liegen, stehtder Himmelspol dortso tief, daß erdurch eine auf Erden gegründeteSäule nur bedingtgestützt werden kann. Eine altchinesische Sage löst das Dilemma so: Dämonenhaben das Firmament und mit ihm die stützende Säule stürzen wollen. Die Götterhaben den Sturzverhindert, aber zur völligen Wiederaufrichtung derHimmelskuppel fehlte ihnen die Kraft. Seitdem stehen Himmel und Weltensäule inChina schief. Wie in Alteuropa befindet sich am Himmelspol der Sitz der Götter, genauer der Palast des göttlichen Kaisers, des 'Himmelssohnes', der im Himmelswagen seinen Wohnsitz umkreist. Die chinesische Zeichnung stammt aus dem 2. .Jahrhundert n. Chr.. Es ist weder vorstellbar, daß an zwei so weit voneinander entfernten Weltgegenden fast identische Weltbilder entstanden sind, noch ist denkbar, daß der göttlich betriebene Himmelsdrehpunkt aus südlichen Breiten nach Norden gewandert ist. Das altchinesische Weltbild muß ursprünglich aus Alteuropa stammen. Wie ist es aber nach China gekommen? Da auch bei den heidnischen Völkern Nordosteuropas und Nordasiens bis hin zur Behringstraße das Bild der Weltensäule nachweisbar ist, kann es auf dem Landwege durch Handel oder durch Wanderungen nach China importiert worden sein. Wissenschaftliche Arbeiten über das Thema stehen noch aus. S. auch Astronomie im alten China Ehe die Araber mit den griechischen Sternbildern bekannt wurden, hatten sie in den sieben Sternen einen Sarg mit drei diesem folgenden Trauernden gesehen. Der erste Deichselstern heißt noch heute Alkaid, Anführer der Trauernden. Der Bezug zum Himmelspol fehlt. Verschiedene Völker berichten in ihren Mythen, daß die sieben Sterne im Winter untergehen: In Sibirien sah man in den sieben Sternen einen Elch, der im Winter sein Geweih verliert. Die Indianer Nordamerikas sahen in ihnen einen Bären, welcher im Winter in den Winterschlaf versinkt, um im Frühling wieder zu erwachen. Die Blackfoodindianer erzählten folgende Geschichte: Die älteste Tochter einer kinderreichen Familie verliebte sich in einen Bären, der von dem empörten Vater getötet wurde. Der Bär aber verfügte über magische Fähigkeiten, welche er vor seinem Tode auf seine Geliebte übertrug. Das Mädchen bekam dadurch die Kraft, die Eltern zu töten und schickte sich an, auch den acht Geschwistern den Garaus zu machen. Eines der Geschwister aber hatte ebenfalls Zauberkraft und versetzte während der Flucht vor der wütigen Schwester alle acht Kinder an den Sternenhimmel. Das kleinste der Geschwister hatte sich in seiner Angst eng an ein anderes angeschlossen und steht nun als das ‚Reiterlein’ auf einem der Deichselsterne. Bei den Eskimos Neuschottlands wird solches berichtet: Die vier Wagensterne sind ein Bär, die drei Deichselsterne drei Vögel, welche den Bären rund um den Polarstern jagen. Schließlich wird der Bär vom Pfeil eines Rotkehlchens getroffen. Helles Blut bedeckt des Vogels Brust. Der Vogel schüttelt sich, so daß der Ahornwald mit Blutstropfen benetzt wird. Einige Tropfen aber bleiben für immer auf des Rotkehlchens Brust und geben ihm seinen Namen. Die Vögel entschwinden. Der Bär wälzt sich auf den Rücken, versinkt und stirbt, um im Frühjahr wieder aufzustehen. Die Geschichten vom Versinken des Sternbildes lassen vermuten, daß diese hoch im Norden lebenden Völker ursprünglich aus dem Süden nordwärts gewandert sind, denn nur im Süden der Nordhalbkugel versinkt das Sternbild im Winter unter den Horizont. Die Majas aus Guatemala sahen in den sieben Sternen einen Vogel mit Namen Sieben-Macaw. Er wurde in jedem Herbst gejagt und getötet, um im Winter tief in der Erde zu ruhen. Jeden Frühling wird er neu geboren, um dann hoch am Himmel auf seinen Baum zu fliegen. Der einzige noch halbwegs intakte Stamm der nordamerikanischen Indianer, die Navachos erzählen folgende Geschichte: In jenen Tagen, als es noch keine Sterne gab, trafen sich die Schöpfergötter in ihrem Hogan und beratschlagten, wie die Welt zu machen sei und was in sie hinein sollte. Etwas verspätet trat Schwarzgott herein, herrlich geschmückt: An seinen Fersen hingen sieben glitzernde Sterne namens Dilyehe. Bewundernd fragten ihn die anderen Götter, ob er nicht auch den dunklen Nachthimmel mit solch schönen Sternen verzieren könne. Da holte Schwarzgott aus seinem Beutel einen großen hellen Edelstein. Mit einem weiten Schwung warf er ihn an den Himmel, genau in den Norden. So entstand "Nordfeuer", der Stern, der immer still steht. Alle anderen Sterne müssen um ihn herum kreisen, und noch heute zeigt er nächtlichen Wanderern den Weg. Die 'verschütteten Edelsteine' sind die Milchstraße, das 'Nordfeuer' der Polarstern, die 'sich drehenden Männer' der Große Wagen, die 'sich drehenden Frauen' Cassiopeia, der Fußschmuck 'Dilyehe' die Plejaden. Die Frage, ob diese indianische Sternensage originär ist oder vom europäischen Himmelsbild beeinflußt, ist noch offen. In den Südstaaten der USA kam vor ca. 150 Jahren für die sieben Nordsterne die Bezeichnung: Trink-Kürbis auf, da die Anordnung der Sterne an ein aus dem Kürbis geschnittenes Trinkgefäß erinnert. Für die Negersklaven des Südens wurde das Sternbild zum Symbol der Freiheit, weil es den Weg in die Nordstaaten wies, wo es keine Sklaverei gab. Das Lied: Folge dem Trink-Kürbis erinnert an jene Zeit der Sklaverei. Der Trinkkürbis hat sich in den USA als die Große Schöpfkelle erhalten. Der Große Wagen als Flaggenmotiv
Alaska, der nordwestlichste Zipfel von Nordamerika, war ursprünglich von Rußland erschlossen worden. Die Russen glaubten jedoch, auf die Dauer nichts mit dem unwirtlichen Land anfangen zu können und verkauften es im Jahre 1867 an die USA. Die USA hatten damit eines der rohstoffreichsten Gebiete der Erde erworben. Im Jahre 1927 erhielt Alaska eine eigene Flagge: Die Sterne des Großen Wagens mit dem Nordstern auf blauem Grund. Die Flagge von Alaska |